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Familie VOS schrieb aus dem paraguayischen Chaco, 2010-2011.



Freitag, 15. Januar 2010

Auf der Reise




Von Daisy, einem hastigen Abschied, Aufgeregtheit, Flughafenbekanntschaften, einem teuren Service, Asunción, der Ruta Transchaco und der Ankunft in Loma Plata

...und schon sind wir am Ziel unserer bislang längsten Reise. Insgesamt waren wir etwa 28 Stunden unterwegs. 15 Stunden Flugzeit, davon eine von Bremen nach Frankfurt, elf von Frankfurt nach Sao Paolo und zwei von dort nach Asunción, der Hauptstadt Paraguays. Die anderen 13 Stunden setzten sich aus Warten und Zeitverschiebung zusammen. Wenn ihr das Abendessen verzehrt, haben wir Nachmittag (4 Stunden Differenz).

Das Tiefdruckgebiet Daisy hat uns in Bremen beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit Eltern bzw. Großeltern und Freunden fuhren wir durch das winterliche Norddeutschland und ließen uns Zeit, zumal die Straßenverhältnisse keine hohe Geschwindigkeit zugelassen hätten. Am Bremen-Airport angekommen, ging ich (noch) entspannt zum Schalter der Lufthansa, um zu fragen, ob man bereits einchecken könne. Die Dame freute sich offenbar über mein Erscheinen („Gut, dass Sie da sind!“) und meinte: „Ich will versuchen, Ihren Flug umzubuchen, sodass Sie auf jeden Fall noch nach Frankfurt kommen. Es ist nicht sicher, ob Ihr Flug noch startet.“ Wie sich später herausstellte, hatte sie Recht. Unser Flug, den wir ursprünglich gebucht hatten, wurde wegen Daisy gecancelt.

Und so hatten wir nicht mehr über zwei Stunden Zeit, sondern plötzlich nur noch 30 Minuten bis zum Start, also gefühlte fünf! Einen Vorteil hatte dieser stressige Umstand: Der Abschied war kurz und schmerzlos. Zwar flossen ein paar Tränen, aber nicht so viele, denn dafür hatte man gar keine Zeit. Nach der Sicherheitskontrolle (der ersten von vier oder fünf Kontrollen, die irgendwann ziemlich lästig wurden), standen die Zurückgelassenen hinter der Scheibe und winkten. Mit Abschiedsstimmung hetzten wir in den Flieger. Nach kurzer Zeit waren wir über den Wolken.

In den letzten Wochen hatten wir auffallend häufig den Satz gehört: „Und, seid ihr aufgeregt?“ Unsere Antwort war stets dieselbe: „Nein, irgendwie nicht.“ Wir überlegten, woran das lag, dass wir bis zum Tag vor der Reise fast überhaupt kein Herzklopfen und/oder weiche Knie hatten. Vermutlich lag unsere Unaufgeregtheit daran, dass dieser Aufenthalt in Südamerika – wir waren ja noch nie dort, überhaupt noch nie so weit weg (ja, wir waren mal zwei Wochen auf Kreta, und dort habe ich mich wegen der Hitze beschwert ;-) – einfach zu abstrakt ist. Und wir hatten in den vergangenen Wochen und Monaten nicht die Zeit und Muße, uns eingehend gedanklich damit auseinander zu setzen. Sicher, die zahlreichen Vorbereitungen, die für diesen Schritt – für einige Zeit als Lehrer an einer deutschsprachigen Schule im Ausland zu arbeiten – notwendig waren (Bewerbungen, Eignungstests, entscheiden & recherchieren, planen, Tropentauglichkeitsuntersuchungen, Impfungen, Kontakte knüpfen, Vorbereitungstage in Köln, Dinge in Bezug auf Absicherung und Finanzielles regeln etc. …), brachten wir hinter uns, aber so richtig hatten wir noch nicht begriffen, dass wir quasi in eine andere, für uns neue, Welt aufbrachen.
Andererseits ist zuviel Grübeln ja auch manchmal hinderlich, wenn es ums Handeln geht. Der Hundert-Meter-Läufer, der beim Startschuss noch überlegt, ob sein Schuh auch richtig sitzt, wird wohl nicht gewinnen. In diesem Sinne: Man muss es einfach machen.

Stichworte: Frankfurter Flughafen, das Drehkreuz Europas, zum Glück gibt es Infostände; warten, warten, warten…; „Notebook raus?“ – „Ja. Noch was in den Taschen?“ – „Nein.“ – „Bitte durch das Tor gehen.“, kein Piepen bei den Kindern und mir, bei Anke wohl; „Wo ist denn der TAM-Schalter?“; „Eine Nussecke und einen Muffin, bitte; was ist denn da drauf? Ok, nehme ich.“; Gepäck bis Asunción durchgecheckt – darum müssen wir uns also nicht kümmern: gut.

Frankfurt – Sao Paolo: Zunächst freuten wir uns über unsere schönen Plätze. Kurze Zeit später mussten wir diese Plätze (eine bessere Klasse) wieder räumen, weil wir uns mit den Sitznummern geirrt hatten. Es waren nämlich zwei Sitznummern angegeben, einmal für den Flug F. – S. P. und einmal für den Flug S. P. – A. Und in dem ganzen Stress ist es ein Leichtes, diese zu vertauschen. Ansonsten recht gutes Essen (Schoko-Pudding als Nachtisch); und „Findet Nemo“ mit Amalia geschaut. Und geschlafen, soweit es halt möglich war in dieser Sardinenbüchse. [Während Holger "Findet Nemo" geschaut und geschlafen hat, habe ich fast ununterbrochen Lenia auf dem Arm gehabt, was mich sowohl am Fernsehen als auch am Schlafen gehindert hat! Aber es ging leider nicht anders, obwohl sie ja eigentlich einen eigenen Platz hatte.]


Auf dem Flughafen Sao Paolo trafen wir ein Rentner-Ehepaar aus dem südlicheren Deutschland an, die ebenfalls nach Asunción weiterfliegen wollten. Gemeinsam suchten wir den richtigen Terminal und das entsprechende Gate. Die Frau antwortete auf meine Frage, was sie denn in Südamerkia machen wollten, dass sie sich umschauen wollten, um dann, bei Gefallen, in Paraguay zu bleiben. Zu Amalia & Lenia war das Ehepaar sehr freundlich und schenkte den Kindern einen Mini-Elefanten aus Plüsch. Kurzzeitig hielten wir am Gate vor Schreck die Luft an, weil eine Dame des Flughafenpersonals plötzlich verlautete, wir benötigten außer unserer Dienstpässe (Wortlaut z. B.: „Tochter des Lehrers Holger Vos“ ;-)) noch ein Visum für Paraguay; glücklicherweise wurde ihr Irrtum von einer anderen Angestellten aufgedeckt.

Nach einer unkomplizierten Passkontrolle am Zielflughafen waren wir gespannt, ob sämtliche Gepäckstücke auch mit uns gekommen waren. Dem war so. Zwei Männer, die wohl dem Flughafenpersonal angehörten, boten uns eifrig ihre Hilfe beim Transportieren der Gepäckstücke an. Über diesen Service freuten wir uns, denn Anke hielt die schlafende Lenia im Arm, und wir hatten zehn Gepäckstücke zzgl. Handgepäck. Dies konnte ich leider nicht im Alleingang schaffen. Erst später berichtete Anke, dass die meisten anderen Passagiere (jedenfalls die, die sich auskannten) die Serviceleistungen dieser Männer nicht in Anspruch nahmen. Kein Wunder, denn sie forderten während ihrer Arbeit mit unseren Koffern einen unverschämt hohen Betrag. Vielleicht wären sie mit dem Gepäck verschwunden, wenn ich ihnen die 50 $ nicht gezahlt hätte? Vielleicht habe ich mich aber einfach nur dumm angestellt? Man weiß es nicht. Und es geht noch weiter! Nun waren wir noch im Gebäude. Ein Koffer musste noch geöffnet werden, da bei der Kontrolle DVDs zu sehen waren, die das Personal nach Raubkopien kontrollieren wollte. Es waren keine dabei! In die anderen Koffer wurde dann nicht mehr geschaut. Die beiden Dienstleister schoben unser Gepäck nach draußen (die Sonne empfing uns mit einem Schlag Hitze) und fragten sich dann noch einmal etwas. Inzwischen waren auch der Gesamtschulleiter der Schulen in den Menno-Kolonien (er brachte uns zwei Tage später in den Chaco nach Loma Plata) und ein zukünftiger Kollege anwesend, die uns sagten, der gezahlte Betrag sei viel zu hoch, höchstens würden sie nun nochmal 20 $ geben. Dies tat ich dann auch. Ein teurer Service.

In Asunción waren wir in einem schönen Hotel namens „Los Alpes“ (deutsche Besitzer, was man an dem beinahe surrealen, grünen Bild sehen kann) untergebracht. Und nachdem sich unsere Begleiter verabschiedet hatten, waren wir auch gleich gezwungen, unsere Spanischkenntnisse anzuwenden, stotternderweise und mit Wörterbuch (niemand im Haus verstand Deutsch oder Englisch). Und zwar hatte unser Zimmer plötzlich keinen Strom mehr (also nachdem ich die Karte herausgezogen hatte, die das Zimmer aktiviert; jedoch nach dem Wiedereinsetzen tat sich nichts), mit der Folge, dass wir schließlich ein neues Zimmer bekamen. Schön war, dass wir per WLAN und Internet Kontakt mit der Heimat aufnehmen konnten. Die Kinder freuten sich über das Plantschen im Pool, und wir freuten uns am Tag der Abreise, dass wir all unsere Habseligkeiten wieder beisammen hatten, denn kurzzeitig war Ankes Fotoapparat verschwunden. (Während des Badens im Pool: "Und, Amalia, wie findest du Paraguay?" - "Schön, da ist das Meer!")
Für eine südamerikanische Großstadt ist Asunción fast schon klein und provinziell, aber eben trotzdem eine Großstadt mit allem, was dies so mit sich bringt. Wir befuhren einen Berg und konnten die Stadt und die sie umgebende Landschaft überblicken, z. B. den Rio Paraguay, aber auch die Müllkippe und die Menschen, die dort leben. Wir meldeten uns in der Deutschen Botschaft an und man beantragte die sog. „Credenciales“ für uns, die paraguayischen Persos.



Am Mittwoch, 13. Januar, vorgestern, fuhren wir heraus aus der Hauptstadt, auf den Ruta Transchaco gen Nordwesten. Ziel: Loma Plata, unser Zuhause für die kommenden zwei Jahre. Entlang dieser einzig asphaltierten Straße weit und breit: Palmensteppe, Bauernhöfe, Barracken, Raubvögel, Gänse, Pelikane, Kühe, Flamingos; zuerst überwiegend Palmen, dann mehr Laubbäume und Sträucher. Dennoch bekommt man den Eindruck, dass stets die gleiche Kulissenwand vor einem abgespielt wird. Aber es ist grün, gar nicht braun und staubtrocken. Die Spannung steigt.

Und dann blickt eine Kuh von einem großen Plakat herab und begrüßt uns: Herzlich Willkommen in Loma Plata!
(Holger) & [Anke]


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